Zu Ullmans Skulptur gehört die in den Boden eingelassene Replik der originalen Gedenktafel: "In diesem Hause lebte und wirkte Unsterbliches Moses Mendelssohn geb. 1729 in Dessau gest. 1786 in Berlin".
- September 2020 "Wahrheit suchen"
Ulrich Matthes liest: "Unsterbliches"
Kamera-1 / Ton / Schnitt: Manfred Fuß;
Kamera-2: Carl Lackmann
Fotografien: Carl Lackmann, Manfred Fuß
Unterstützt durch die Ursula Lachnit-Fixson-Stiftung
Veranstalter: Mendelssohn-Gesellschaft und Siftung St. Matthäus
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Gratulation beim ersten Jour fixe "Unsterbliches" am 6. 9. 2020 von Thomas Lackmann, stellv. Vorsitzender der Mendelssohn-Gesellschaft:
"Heute vor 290 Jahren wurde in Dessau als jüngstes Kind des Synagogenküsters Mendel und seiner Frau Rachel Sara Wahl ihr Sohn Mausche geboren, der bis an sein Lebensende viele Briefe als „der kleine Mausche aus Dessau“ unter-schrieben hat, als „ha-koton Mausche mi-Dessau“. Ansonsten nannte er sich mit bürgerlichem Namen „Moses Mendelssohn“. Da lebte er schon lange in Berlin. Im Nikolaiviertel war er zunächst als 14jähriger Bettelstudent, als Bildungsmigrant aus Anhalt in einer Dachstube untergekommen. Als Autodidakt wurde er zum Selfmade-Intellektuellen, zum Aufklärungs-Philosophen und Bestsellerautor, zum europaweit prominenten Vorzeige-Juden, zum Ästhetiker, Psychologen, Literaturrezenten, zum Kulturtransformator, zum Herausgeber, zum charismatischen, witzigen, scharfsinnig und brillant formulierenden Modernisierungshelfer.
Wir gratulieren Mendelssohn, ohne den die Geschichte der Juden und Nichtjuden in Deutschland und dem Rest der Welt, die deutsch-jüdische Weltgeschichte vermutlich anders verlaufen wäre, zum Geburtstag. Wir wollen das auch die nächsten neun Jahre, bis zu seinem 300. Wiegenfest, an diesem Jour fixe so halten. Hier stand das Haus, in dem er 23 seiner 42 Berliner Jahre gewohnt hat. Daran erinnert das Bodendenkmal von Micha Ullman, der uns gerade noch einen Gruß geschrieben hat zu dieser Gratulationsfeier, aus Israel: "Ich freue mich sehr über den Besuch an Mendelsohns Haus. Ich möchte auch von Weiten an dem Geburtstag teilnehmen. Das "Haus Mendelssohn" ist das Haus, in dem ich als Gast in Berlin wohne. Sein Weg, wie er es in seinem Leben und in seinen Schriften gezeigt hat, ist auch mein Weg geworden. Von der Liebknecht-Straße in Richtung Westen finden wir am Bebelplatz die Erinnerung daran, was passieren kann, wenn man den falschen Weg geht."
In das Haus Spandauer Straße 68 ist Mendelssohn mit seiner Frau Fromet Gugenheim 1762 eingezogen, hier lebte er mit seinen sechs Kindern und ihren aufgeklärten Hauslehrern. Hier erlebte die zweite Mendelssohn-Generation, aus der sich eine Familie der Bankiers, Künstler und Gelehrten entwickeln sollte, ein offenes Haus der Aufklärung und vielfältiger Diskussionen – ein Modell für den Salon der Neuen Zeit.
Um die Ecke, an der verschwundenen Bischofsstraße drüben, zwischen heutigem Neptunbrunnen und Rotem Rathaus, stand das Haus der Seidenmanufaktur Bernhard, wo Mendelssohn als Buchhalter und Geschäftsführer den Lebensunterhalt seiner Familie verdiente. Nur aufgrund dieser Arbeit besaß er als jüdischer Gastarbeiter Bleiberecht.
Wir lassen für diese Geburtstagsfeiern vor allem ihn und seine Lebensthemen zu Wort kommen. Im Zusammenklang mit Komponisten, Zeitgenossen, Nachgeborenen. Mit Gegenstimmen – auch von seinem älteren, gerade in dieser jüdischen Nachbarschaft umstrittenen Denkmals-Nachbarn Luther. Im Zusammenklang mit den schönen Künsten, die Moses so sehr liebte und deren Wirkungen dieser Großvater des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy zu erklären versuchte – in der Musik, in der Malerei, im Theater. Im Namen der Mendelssohn-Gesellschaft und unseres Veranstaltungspartners, der Stiftung St. Matthäus, danken wir denen, die diesen Gratulationsakt so möglich machen: Judith Ingolfsson, Ulrich Matthes und der Ursula Lachnit-Fixson-Stiftung.
Moses Mendelssohn starb mit 56 Jahren. Zu seinem 100. Geburtstag wurde hier an seinem Wohnhaus eine monumentale Gedenktafel angebracht, die behauptete, er habe „Unsterbliches“ gewirkt. Wir möchten uns als Gratulanten den Facetten der unsterblichen Wirkung nähern und picken uns Begriffe heraus, die ihm wichtig waren. Ein Leitmotiv war für ihn die Frage nach der „Bestimmung des Menschen“ gewesen, die er mit vier Formeln beantwortet hat: Die erste davon lautete „Wahrheit suchen“, manchmal auch: „Wahrheit erkennen“. Sie paßt zu der Anekdote vom Eintritt des 14jährigen Mausche am Berliner Stadttor, der vom Torwächter gefragt wurde, was er denn hier wolle, und der darauf geantwortet haben soll: „Lernen“.