So kamen die Festivals zur Mendelssohn-Remise
Die Festivals in der Mendelssohn-Remise sind entstanden aus ersten Konzert-Experimenten während der Fußball-Weltmeisterschaft 2006: als Verbeugung vor den von Fanny Hensel begleiteten Sonntagsmusiken der Mendelssohn Bartholdys (in deren Wohnungen, Neue Promenade 7 und Leipziger Straße 3) sowie als Hommage an weitere Hausmusik-Traditionen der Mendelssohn-Bankiers (in der Jägerstraße und in ihren Grunewald-Villen).
Genius loci
Die Mittagsmusiken der Mendelssohn-Gesellschaft im ehemaligen Stammhaus von Mendelssohn & Co., in der ehemaligen Kassenhalle der Bank, würdigen den Genius loci einer großen Familie, in der sich künstlerisches Talent und ökonomisches wie auch gesellschaftliches Engagement auf besonders starke Weise mit einander verbunden haben. Zu den Konzerten eingeladen sind die Nachbarn in der Friedrichstadt, Angestellte während ihrer Mittagspausen, musik- und geschichtsinteressierte Berliner und Berlin-Besucher: Sie können hier am historischen Ort, in einem Ausstellungsraum mit intimer Atmosphäre Musiker aus vielen Nationen im Einklang erleben – Kammermusik auf hohem Niveau. Damit beziehen sich die Mittagsmusiken auch auf das idealistische Vermächtnis, auf die Leidenschaft für schöne Künste und das universalistische Aufklärungserbe Moses Mendelssohns und seiner Nachkommen.
Die Konzerte tragen dazu bei, das „Quartier der Mendelssohns“, die mit soviel Historie aufgeladene Friedrichstadt rund um den Gendarmenmarkt zu neuem Leben zu erwecken und Geschichte mit eigenen Erlebnissen anschaulich und emotional zugänglich zu machen: an einem besonderen Ort deutsch-jüdischer Geschichten. Dem Andrang nach zu schließen, wirken die Mittagsmusiken manchmal wie Kult-Events, und sind zugleich immer noch ein Geheimtip und auch manchen Berlin-Experten noch nicht bekannt.
Realisiert werden diese Konzertreihen auch durch den Einsatz des Gastgeber-Teams ehrenamtlicher Mitarbeiter in der der Mendelssohn-Remise, die von der Werbung und Bestuhlung über ggf. Reservierungsorganisation und den Einlaß, die Besucherbegleitung, Verstauuung von Besuchergepäck und Musikerbetreuung bis zur Besorgung von Blumen, Spendensammlung, Abrechnung und Motivierung fördernder Freundeskreise den professionellen und würdigen Verlauf solch gut besuchter Veranstaltungen erst ermöglichen.
„No Sports!“ – der Start der Sommerkonzerte im Jahr 2006
In Anknüpfung an das sarkastische Churchill-Zitat „No Sports“ wurde während der legendären Sommermärchen-WM an den sechs Berliner Spieltagen zu Konzerten mit Studenten der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin in die Mendelssohn-Remise eingeladen, um 13 Uhr: „Die etwas andere Halbzeit mit Klassikern des 18., 19. und 20. Jahrhunderts“, lautete der Untertitel des Experiments. Auf dem Programm standen die Komponisten Mozart, Mendelssohn Bartholdy, Dvorak, Chatschaturjan, Glasunow, Ligety, J.S. Bach, Händel, Beethoven, Boufil, Denissov, Schubert, Merku, Messiaen und Brahms.
Die Mendelssohn-Remise war damals noch ein unrenovierter Raum mit Betonboden, offenen Kabeln an den Wänden und ohne Akustikdecke über dem inneren Säulengeviert, also unter akustischen Gesichtspunkten nicht ganz komfortabel zu bespielen. Die Ausstellung „Die Mendelssohns in der Jägerstraße“ war gerade als Dauerausstellung wiedereröffnet worden. Zwischen zwölf und siebzig Besucher kamen jeweils zu den Konzerten. Sie nahmen sich in der Ecke stehende Klappstühle und durften sich nach Wunsch im Raum platzieren. Der Eintritt war frei, Spenden wurden eingesammelt, und eine Nachbarin aus dem Haus Jägerstraße 51, die Westdeutsche Landesbank, förderte die Reihe mit einer Spende. Da Erfahrungen mit der Organisation einer solchen Reihe erst noch gesammelt werden mußten, endete die finanzielle Bilanz mit einem Defizit für die Veranstalter. Dennoch wurde die kurzfristig realisierte Idee solcher Konzerte im Team der Mendelssohn-Remise als großer Erfolg angesehen, als Initialzündung für Nachfolgeprojekte.
In einem Bericht der Zeitung „Der Tagesspiegel“ hieß es unter der Rubrik „Fußballfreie Zone“: „Der tröstliche Satz, das Leben sei nur ein Spiel, wirkt frustrierend, sobald die Akteure ihr Spiel bluternst nehmen. Aber ohne Leidenschaft macht Spielen keinen Spaß, verbissen freilich erst recht nicht. Ein Seiltanz also: Die Rede ist, natürlich, von der Musik. ... Am 9. Juli findet das Endspiel statt, hier erfahren Sie bereits die Besetzung: Klarinette, Cello, Klavier mit Brahms’ op. 114 ... Beginn: jeweils 13 Uhr. Eintritt frei. Das Konzert dauert 45 Minuten. Danach dürfen wir, zur andern Halbzeit, zurück ins so genannte Leben, Büro oder Stadion. War Churchills Gesundheitsrezept („No Sports!“) wirklich ironisch gemeint? Ernst ist das Leben, heiter die Musik – und umgekehrt.“
2008 bis 2014 wurde das Projekt sommerlicher Mittagsmusiken in der Mendelssohn-Remise von der Musikmanagerin und Musikpädagogin Annette Spitzlay gemeinsam mit Studenten und Absolventen der Universität der Künste fortgesetzt und weiterentwickelt. Die Konzerte trugen in diesen Jahren den Titel „Die Sonne brennt fortissimo“ (ein Briefzitat Felix Mendelssohn Bartholdys) und fanden jeweils in Wochenblöcken von bis zu zweimal fünf Tagen während der Schulsommerferien statt. Der Publikumsbesuch steigerte sich; manchmal war der Ansturm nicht einfach zu steuern, wenn ein TV-Bericht in der Abendschau oder eine Ankündigung im Rundfunk unmittelbar vorausgegangen war.
„The Last Rose of Summer“ – Wie Irland und die Mendelssohns doch zu einander fanden
Die Vorgeschichte dieser Sommerkonzertreihe in der Remise geht gewissermaßen zurück auf das Jahr 1827, als Felix Mendelssohn Bartholdy seine Fantasia für Klavier op. 15 über das berühmteste irische Volkslied komponiert hat. 1829 stoppte der Vater Abraham dann zwar die Pläne des durch England reisenden Sohnes, auch nach Irland überzusetzen. Das op. 15 jedoch gelangte 1830 als Abschrift des Komponisten und Geschenk bei seinem Weimar-Besuch an Ulrike von Pogwisch, die Schwester von Goethes Schwiegertochter Ottilie. In der Stiftung Weimarer Klassik ist heute das einzige Autograph dieser Komposition erhalten.
Als die Mendelssohn-Gesellschaft und die Berliner Botschaft von Irland, ebenfalls ansässig im Haus Jägerstraße 51, im Herbst 2014 – angeregt durch Erfahrungen guter Nachbarschaft und Zusammenarbeit – die Gründung eines gemeinsamen Sommerfestivals für das Folgejahr beschlossen, war sofort klar: „The Last Rose of Summer“ soll der Name dieser Reihe werden.
Ein "Irischer Tag" gehört immer dazu
Teil des Konzeptes ist die wechselnde Kooperation der beiden Veranstalter mit weiteren diplomatischen Vertretungen in Berlin, deren Länder dabei eine Möglichkeit erhalten, sich an diesem besonderen Ort der Stadt kulturell zu präsentieren. Ein „Irischer Tag“ mit Musik und Empfang gehört bereits zur nunmehr sechsjährigen Tradition des Festivals, das vielleicht kleinste, jüngste und vermutlich sympathischste seiner Art in Berlin!
Finanziert wird die Reihe bisher durch Beiträge der beiden Veranstalter, durch Anzeigen im Programmheft, Spenden der Besucher, Reservierungsgebühren, einen vor zwei Jahren entstandenen Freundeskreis und durch die Förderung eines in England lebenden Nachkommen Moses Mendelssohns. Im Jahr 2021 ist als Unterstützer auch das Österreichische Kulturforum Berlin dabei.
Internationalität des Programms und der Protagonisten ist für das Festival ein wichtiges Element, das ebenso von den beiden Künstlerischen Leitern verkörpert wird: Die Geigerin Judith Ingolfsson hat isländisch-amerikanische und Schweizer Wurzeln, der Pianist und Dirigent Vladimir Stoupel ist russisch-jüdischer Herkunft und französischer Staatsbürger. „Wir laden Sie ein, in den aufgeführten Werken und in den Interpretationen der Festivalmusiker auch hoffnungsvolle Bilder zu erkennen: Dramen ja, und Sehnsüchte, die unsere Gegenwart und unsere Erinnerung zum Klingen bringen“, hieß es im Grußwort der Festivalleiter zum Epochenjahr 1917 / 2017.
„Klassik um Eins“ – das Frühjahrsfestival von 2009 bis 2021
Am Anfang des großen Jubiläumsjahres zum 200. Geburtstag Felix Mendelssohn Bartholdys eröffnete die Pianistin Birgitta Wollenweber, seit 2003 Professorin für Klavier an der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin, mit Studenten unterschiedlicher Instrumental-Bereiche und in Kooperation mit den dafür zuständigen Kollegen erstmals das Frühjahrsfestival „Klassik um Eins“. Seitdem war aus diesem Einsatz der jungen Musiker aus der Remisen-Nachbarschaft am Gendarmenmarkt eine Tradition geworden, in bewährter Zusammenarbeit der Hochschule und des Vereins und seiner Ehrenamtlichen. Das Spektrum der aufgeführten Programme und Komponisten hatte sich dann zusehends erweitert, die Qualität der Aufführungen verdichtete sich. Das Publikum, darunter zahlreiche Stamm-Besucher aus vielen Jahren in Folge, wurde durch die Moderation Prof. Wollenwebers zu musikalischen Entdeckungen mitgenommen, es trugt mit seiner Konzentration, der Entdeckungsfreude und seiner Kompetenz zur Gesamtsteigerung der Festivalqualität bei. In Ergänzung zu den Auftritten der Studenten wurden einzelne Konzerte von Schülern des Carl Philipp Emanuel Bach-Gymnasium gestaltet.
„Klassik um Eins“ galt für Berliner Musikfreunde als Geheimtip, mit künstlerischen Energieschüben durch den Winter zu kommen, da die Reihe Anfang Januar in der dunkelsten Zeit hoffnungsvoll begann und im März ihren optimistischen Frühlingsabschluß fand.
Die Spendeneinnahmen des Festivals halfen bei der Erhaltung der ohne öffentliche Mittel betriebenen Mendelssohn-Remise, zur anderen Hälfte flossen sie in das neue „Klassik um Eins“-Stipendium der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin. „Klassik um Eins“ als Förderung des musikalischen Nachwuchses, dem interessante Auftrittsmöglichkeiten geboten werden, entspach für die Mendelssohn-Gesellschaft auch einem Vermächtnis der Mendelssohn-Familie, das in Felix Mendelssohn Bartholdys Aktivitäten für die Musikerausbildung und Stiftungen seiner Berliner Erben begründet ist. Im Corona-Frühjahr 2021 wurde "Klassik um Eins" zum letzten Mal veranstaltet, allerdings nur noch als Online-Festival, präsentiert auf dem Youtube-Kanal der Mendelssohn-Gesellschaft. Die Planung für 2022 mußte dann aus Gründen der pandemischen Vorsichtmaßnahmen abgesagt werden.
Neues Festivalprojekt: das Felix Mendelssohn Bartholdy-Werkstatt-Festival !
(I) "Lieder ohne Worte" vom Donnerstag 3. Februar bis Samstag 5. Februar 2022
(II) "Reiseberichte in Wort, Bild, Musik" 4./5. November 2023
FREITAG 16. AUGUST – DIENSTAG 20. AUGUST 2024 TÄGLICH UM 13 UHR „THE LAST ROSE OF SUMMER”
Künstlerische Leitung: Judith Ingolfsson & Vladimir Stoupel.
Das Festival präsentiert Kompositionen, deren Entstehung und historische Aufführungen mit der Musikwerkstatt Berlin verbunden sind: Komponisten und Musiker aus aller Welt, die von dieser Stadt inspiriert wurden.
Kooperationsveranstaltung der Mendelssohn-Gesellschaft mit der Botschaft von Irland, gefördert durch die Botschaft von Island, unterstützt durch Ad Fontes Rechtsanwälte und Guy Oppenheim.
Programmänderungen vorbehalten!
In der Saison 2024 ist der VVk möglich vor Ort ab 15.7. während der Öffnung der Ausstellung in der Mendelssohn-Remise; Restkarten an der Tageskasse oder online www.eventbrite.de
Freitag, 16 August 2024 – Eröffnungskonzert / Irischer Tag
Siobhán Armstrong, Irish Harp
Musik aus dem alten Irland und Europa
SIOBHÁN ARMSTRONG ist eine der führenden historischen Harfenspielerinnen Europas, die Kopien von Harfen aus dem 15. bis 18. Jahrhundert spielt. Siobhán tritt international mit den wichtigsten Ensembles und Dirigenten für Alte Musik auf, vor allem in Europa, und arbeitet auch mit einigen der besten traditionellen Musiker Irlands zusammen. Sie ist Gründerin und Vorsitzende der Historical Harp Society of Ireland.
Samstag, 17 August 2024 – Lieder mit Violine
Jeanne Seguin, Soprano
Hrayr Atshemyan, Violine
Lieder für Soprano und Violine von Rebecca Clarke, Gustav Holst, u.a.
Sonntag, 18 August 2024 – Fanny Hensel Sonntagsmusiken
Judith Ingolfsson, Violine/Viola
Sibbi Bernhardsson, Violine
Alan Stoupel, Violine
Friedemann Ludwig, Violoncello
Andreas Arndt, Sprecher
Vladimir Stoupel, Klavier
Verklungene Feste – Neu aufgelegt
Klavierquartett von Fanny Hensel und Werke von Komponisten aus dem Salon von Fanny Hensel
Montag, 19 August 2024 – Glaube und Hoffnung
Judith Ingolfsson, Violine
Carol McGonnell, Klarinette
Friedemann Ludwig, Violoncello
Vladimir Stoupel, Klavier
Olivier Messiaen (1908-1992)
“Quatuor pour la fin du temps” / “Quartett für das Ende der Zeit” (1940-1941)
Dienstag, 20 August 2024 – Abschluss im Quintett
Judith Ingolfsson, Violine/Viola
Sibbi Bernhardsson, Violine
Alan Stoupel, Violine
Friedemann Ludwig, Violoncello
Vladimir Stoupel, Klavier
Antonín Dvořák (1833-1897)
Klavierquintett A-Dur, op. 81, u.a.
"Klassik um Eins" ist das Frühjahrsfestival in der Mendelssohn-Remise. Es findet statt an den zehn ersten Donnerstagen des Jahres (Ausnahme 2020: Start ab dem 9. Januar!), jeweils um 13 Uhr, Dauer ca. 45 Minuten: als Kooperationsveranstaltung der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin mit der Mendelssohn-Gesellschaft. Die Leitung und Moderation des Programms hat Prof. Birgitta Wollenweber, es musizieren Studenten der HfM Hanns Eisler. Der Eintritt ist frei, um großzügige Spenden für die Remise und für das „Klassik um Eins“-Stipendium der HfM Hanns Eisler wird gebeten. Platzreservierungen sind nicht möglich, Einlaßkarten sind am Konzerttag ab 11 Uhr vor Ort zu erhalten.